Abstract: Projekt Overview
This study explores the experiences, perceptions, and coping strategies of Jewish individuals in Germany in the aftermath of the October 7, 2023 Hamas attack on Israel. Our research aimed to provide a comprehensive understanding of how Jews in Germany, with or without Israeli migration background, navigated the complex emotional landscape of collective trauma and rising antisemitism.
Key Objectives
Examine the immediate and ongoing impacts of the October 7 events on Jewish individuals in Germany
Investigate changes in experiences of antisemitism and perceptions of societal responses
Identify coping strategies and resilience mechanisms employed by Jewish individuals
Explore the influence of these events on Jewish identity and community engagement
Assess concerns and hopes for the future of Jewish life in Germany
Methodology
We conducted in-depth, semi-structured interviews with 18 Jewish individuals living in Germany, including both Israeli and non-Israeli backgrounds. Participants ranged in age from 23 to 68 years old and represented diverse socioeconomic backgrounds and levels of religious observance.
Key Findings
Profound emotional disruption and trauma following the October 7 attacks
Significant changes in social relationships, often leading to social withdrawal
Increased community engagement and activism among Jewish individuals
Heightened sense of insecurity and vigilance in expressing Jewish identity
Complex coping strategies, including humor, community involvement, and selective avoidance
Abstract: Auch 70 Jahre nach dem Holocaust hat sich in Deutschland noch immer kein flächendeckender Konsens über die Unteilbarkeit der Menschenrechte durchgesetzt. Antisemitismus, Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit sind besorgniserregend weit verbreitet. Ein Viertel der Deutschen sind antisemitische Israelkritiker, bei denen juden- und islamfeindliche Einstellungen miteinander Hand in Hand gehen, und deren (scheinbare) Parteinahme für die Palästinenser ihnen letztlich nur als Mittel dient, „das wahre Gesicht der Juden“ zu entlarven. Gut ein Zehntel vermeidet es, Kritik an der israelischen Politik zu üben, „weil man ja nicht sagen darf, was man über die Juden wirklich denkt“, und selbst jenes Viertel der Deutschen, das der Politik Israels wohlwollend gegenübersteht, tut dies oft nur, um selbst vor der Welt gut dazustehen.
Jedoch kritisieren immerhin vier von zehn Deutschen die israelische Politik deshalb, weil sie für die Menschenrechte eintreten, Antisemitismus und Islamophobie gleichermaßen ablehnen und eine Politik verurteilen, die nicht nur den Palästinensern Unrecht antut, sondern auch Israel von innen heraus zu zerstören droht. Auch sie des Antisemitismus zu bezichtigen, kann weder im Interesse Israels noch im Interesse der in Deutschland lebenden Juden sein.
Topics: Antisemitism: Definitions, Antisemitism: Christian, Antisemitism: Discourse, Antisemitism: Education against, Antisemitism: Far right, Antisemitism: Institutional, Antisemitism: Israel-Related, Antisemitism: Left-Wing, Antisemitism: Monitoring, Antisemitism: Muslim, Antisemitism: New Antisemitism, Antisemitism: Online, Philosemitism, Main Topic: Antisemitism
Abstract: Angesichts globaler und regionaler Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte steht die Gesellschaft vor erheblichen Herausforderungen wie politischer Instabilität, verschärften Konflikten, Migration, Rassismus, Diskriminierung sowie der Verbreitung von Fake News und Verschwörungserzählungen. Dabei gewinnen Extremismus, Antisemitismus, islamistische Radikalisierung und Rassismus an Bedeutung. In der Phase intensiver Persönlichkeitsentwicklung sind junge Menschen, geprägt von Unsicherheit, besonders anfällig für extremistische Überzeugungen und Handlungen. Der Drang, die eigene Identität zu formen, kombiniert mit der Suche nach einem Sinn im Leben, macht sie besonders empfänglich für Einflüsse aus ihrer sozialen Umgebung. Fehlender Zugang zu staatlichen, zivilgesellschaftlichen und familiären Unterstützungsmaßnahmen erhöht das Risiko einer Radikalisierungsspirale. Diese wird durch die Verbreitung radikaler Versprechungen über Soziale Medien und gezielte Rekrutierung in der sozialen Umgebung begünstigt. Insbesondere die Bedürfnisse und Emotionen junger Menschen werden dabei zum Ziel extremistischer Propaganda. Die Ergebnisse der Studie „IU-Kompass Extremismus“ zu antisemitischen Einstellungen bei jungen Menschen in Deutschland verdeutlichen weitverbreitete Ausprägungen dieses Phänomens. Es gilt, das Bewusstsein für menschenverachtende Ideologien zu schärfen und Jugendliche mit den nötigen Werkzeugen auszustatten, um diese Phänomene zu erkennen, zu benennen und aktiv dagegen vorzugehen.
Abstract: Aktuell wird in Deutschland vermehrt über die Verbreitung von antisemitischen Vorurteilen sowie die Entwicklung der Anzahl registrierter Straftaten und Gewaltvorfälle mit antisemitischem Hintergrund diskutiert. Die Daten des Hellfelds der polizeilich registrierten, politisch motivierten Kriminalität (PMK) verweisen insofern auf Anstiege registrierter, antisemitisch motivierter Straftaten. Opferberatungsstellen berichten gleichfalls über Zunahmen der Meldungen betroffener Opfer. Seitens des zuständigen Bundesinnenministeriums wird insoweit auch der Antisemitismus bei in Deutschland lebenden Menschen mit muslimischer Religionszugehörigkeit besonders in den Blick genommen. Differenzierte Analysen, die über das registrierte Hellfeld hinaus die Frage einer besonderen Belastung von Migrant:innen oder Muslim:innen mit Blick auf die Verbreitung entsprechender Einstellungen untersucht haben, sind bislang allerdings nur begrenzt verfügbar. Die Klärung dieser Frage erscheint sowohl für die Konzeption zielgerichtete Formen der Prävention als auch für die Gestaltung politisch-rechtlicher Interventionen zur Reduzierung von Antisemitismus in Deutschland relevant. Im folgenden Artikel wird auf Grundlage der Daten einer im Jahr 2022 durchgeführten bundesweit repräsentativen Befragung mit n=4 319 Personen untersucht, wie verbreitet unterschiedliche Formen antisemitischer Vorurteile in Deutschland sind. Der Umstand, dass diese Erhebung große Oversamples muslimischer Migrant:innen einerseits sowie nichtmuslimischer Migrant:innen anderseits enthält, wird genutzt, um auf einer breiten Datenbasis auch die Frage zu verfolgen, inwieweit migrationsspezifische Hintergründe für Antisemitismus erkennbar sind bzw. ob diesbezüglich religionsbezogene Besonderheiten mit Blick auf Menschen muslimischen Glaubens bestehen. Die Ergebnisse verweisen darauf, dass – auch nach statistischer Kontrolle der Effekte soziodemografischer Merkmalen sowie von Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen – unter in Deutschland lebenden Muslim:innen signifikant erhöhte Raten antisemitischer Einstellungen festzustellen sind. Es sind allerdings ganz erhebliche Binnendifferenzen zu beachten. Es sind vier gut unterscheidbare religiöse Orientierungsmuster bei Muslim:innen identifizierbar, für die sich im Hinblick auf das Ausmaß antisemitischer Einstellungen große Unterschiede zeigen. Implikationen dieser Befunde für die Politik sowie für die Praxis der Prävention von Antisemitismus werden erörtert.
Abstract: Mit dem vorliegenden Bericht erfüllt der Bundesrat das Postulat von Ständerat Paul Rechsteiner 19.3942 «Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA)» vom 21. Juni 2019, das einen Bericht fordert, der sich mit der Arbeitsdefinition zu Antisemitismus der IHRA auseinandersetzt und ihren Nutzen in der Sensibilisierungs-, Beratungs- und Interventions-, Forschungs- und Justizarbeit darlegt. Der Bundesrat hat das Postulat zur Annahme empfohlen und ausgeführt, dass der Bericht zusätzlich die Möglichkeit bietet, die Politik gegen Antisemitismus in der Schweiz zu analysieren und gegebenenfalls weiterführende Massnahmen zu empfehlen. Der Bericht des Bundesrates fasst die Ergebnisse zweier Studien zusammen: Eine juristische Analyse der Arbeitsdefinition der IHRA und eine Evaluation der Massnahmen gegen Antisemitismus auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene. Im ersten Teil geht der Bericht auf die Entstehungsgeschichte der Arbeitsdefinition ein und legt dar, wie die Arbeitsdefinition durch andere Staaten und internationale Organisationen angenommen und verwendet wird. Die einzelnen Elemente der Arbeitsdefinition werden analysiert, um diese zu konkretisieren, Unklarheiten zu beseitigen und Lücken zu identifizieren. Der Bundesrat folgert, dass er den Wert und die praktische Relevanz der rechtlich nicht bindenden Arbeitsdefinition der IHRA als Leitfaden für die Identifikation antisemitischer Vorfälle anerkenne. Insbesondere könne sie Ausgangspunkt für die Formulierung spezifischer, auf den jeweiligen Anwendungsbereich und Anwendungszweck ausgerichteter Definitionen sein, wobei diese mit den nötigen Vorbehalten zum Schutz der Meinungsfreiheit zu versehen seien. Eine explizite Bestätigung eines nicht bindenden internationalen Textes durch die Schweizer Behörden sei dagegen ungewöhnlich und vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Im zweiten Teil geht der Bericht auf die Massnahmen gegen Antisemitismus auf nationaler und internationaler Ebene ein und würdigt den Einsatz als breit und vielfältig. Konkret schätzt er das Ausmass des Antisemitismus, der Akzeptanz und der Bedrohungslage der Jüdinnen und Juden in der Schweiz ein, gibt einen kursorischen, aber repräsentativen Überblick über die Massnahmen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene und schliesst mit einer Reihe von Empfehlungen für einen umfassenderen und konsequenteren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus in der Schweiz. Konkret könne mit einer besseren Koordination auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene die Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten bei der Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus geklärt, der Austausch gestärkt und eine gemeinsame strategische Planung gefördert werden. Diese Vorschläge werden auf Bundesebene von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) und der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) im Rahmen ihrer Kompetenzen umgesetzt werden. Im Rahmen ihrer Koordinationsaufgaben werden sie vermehrt dazu beitragen, dass gesamtschweizerisch Synergien genutzt und eine landesweite Strategie gegen Rassismus und Antisemitismus weiterentwickelt werden kann.
Author(s): Ambos, Kai; Barskanmaz, Cengiz; Bönnemann, Maxim; Fischer-Lescano, Andreas; Goldmann, Matthias; Anna Katharina, Mangold; Markard, Nora; Michaels, Ralf; Montag, Jerzy; Steinbeis, Maximilian; Tabbara, Tarik; Wihl, Tim; Zechlin, Lothar
Abstract: Diese Stellungnahme wurde am 5. Dezember 2023 an die Fraktionsvorsitzenden, an die Mitglieder der Ausschüsse Inneres und Recht sowie an die Ausschussbüros der anderen beteiligten Ausschüsse des Bundestags versandt. Nachdem in der Presse über diese Stellungnahme berichtet wurde, haben wir uns entschieden, sie zu veröffentlichen.
Die Nationale Strategie der Bundesregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben (NASAS) und ein Entschließungsantrag der Ampelkoalition im Bundestag sehen eine weitreichende rechtliche Implementation der sogenannten IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus als Regulierungsinstrument vor; Landtagsfraktionen planen offenbar ähnliches. Aus juristischer Sicht ist eine Implementierung der IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument aus folgenden Gründen problematisch, die unten ausgeführt werden:
Die IHRA-Arbeitsdefinition ist ausdrücklich als nicht rechtsverbindlicher Text von der IHRA verabschiedet worden und auch nicht wie ein solcher formuliert. Sie dient dem Monitoring. Sie zum faktisch bindenden Text zu machen, geht gegen ihre Rechtsnatur. Sie ist viel zu unpräzise, um Rechtssicherheit zu erzeugen oder Behördenpraxis zu etablieren. Zudem ist der Status der elf Anwendungsbeispiele, die nicht zur Definition gehören, aber oft mit hinzugezogen werden, völlig unklar.
Die Annahme der IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument würde teilweise weitreichende verfassungsrechtliche Verwerfungen erzeugen, die nicht überblickt werden können. Insbesondere ist eine darauf gestützte Behördenpraxis ganz unvorhersehbar. Erfahrungen aus Kontexten, in denen die IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument diente, zeigen, dass sie für erhebliche Einschränkungen von Grundrechten genutzt wird – sehr häufig auch gegen Juden, die die Politik der jeweiligen Regierung Israels kritisieren.
Eine Annahme der IHRA-Arbeitsdefinition würde Verstöße gegen höherrangiges Recht, insbesondere das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention, nach sich ziehen oder zumindest wahrscheinlich machen. Das betrifft insbesondere das Recht der freien Meinungsäußerung und seine Anwendungen etwa im Versammlungsrecht und im politischen Strafrecht. Es betrifft auch die Kunstfreiheit, für die die IHRA-Arbeitsdefinition nicht passt, sowie die Freiheit von Forschung und Lehre.
Die IHRA-Arbeitsdefinition zur prinzipiellen Grundlage von Förderungsrichtlinien zu machen, ist rechtlich problematisch. Offensichtlich ist das für die Forschungsförderung. Denn die Definition des Antisemitismus ist selbst Gegenstand der Wissenschaft; ihr kann eine bestimmte Definition nicht vorgeschrieben werden. Aber auch bei der Kunstfreiheit fragt sich, ab wann die Kunst nicht mehr „frei“ ist (wie das Grundgesetz fordert), weil eine zu extensive Nutzung der IHRA-Arbeitsdefinition und eine Selbstzensur auch dort eingreifen, wo es die Bekämpfung von Antisemitismus nicht mehr erfordert. Schließlich kann die Meinungsfreiheit betroffen sein, wenn früher in anderem Kontext gemachte Aussagen in die Beurteilung der Förderwürdigkeit mit einbezogen werden.
Die IHRA-Definition ist für eine antidiskriminierungsrechtliche Bekämpfung von Antisemitismus nicht erforderlich; sie ist teilweise hinderlich für die wirksame Bekämpfung der Diskriminierung von Jüd:innen. Das Antidiskriminierungsrecht kennt keine vergleichbare staatliche Definition von Rassismus, Sexismus oder Homo- und Transphobie.
Im Aufenthalts- und Asylrecht würde die Implementierung der IHRA-Definition erhebliche Probleme schaffen und kann zu Konflikten mit der Genfer Flüchtlingskonvention führen, die enge Voraussetzungen stellt.
Diese kurze vorläufige Handreichung beschränkt sich auf diese juristischen Fragen; eine inhaltliche Bewertung der IHRA-Arbeitsdefinition nimmt sie nicht vor. Die notwendige ausführliche juristische Beurteilung einer Implementation scheint in Deutschland noch nicht vorgenommen worden zu sein. Anders ist das in der Schweiz, wo zwei Wissenschaftlerinnen im Auftrag der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Eidgenössischen Departements des Innern 2020 eine ausführliche Juristische Analyse der von der IHRA angenommenen Arbeitsdefinition von Antisemitismus erstellt und mehrere Problempunkte identifiziert haben.
Abstract: Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind einzigartig. Geprägt von der Erinnerung an die Shoah und getragen von dem Anspruch, daraus praktische Konsequenzen für heute zu ziehen, gelten sie als „besonders“. Doch was bedeutet diese Besonderheit im Jahr 2025? Haben der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der nachfolgende Krieg Israels gegen die Hamas im Gazastreifen Spuren im bilateralen Verhältnis hinterlassen? Wie blicken Deutsche und Israelis heute aufeinander, welche Erwartungen und Bilder prägen das gegenseitige Verhältnis, und welche Verantwortung resultiert daraus in einer Zeit wachsender geopolitischer Spannungen und gesellschaftlicher Polarisierung? Vor dem Hintergrund dieser Fragen gibt die vorliegende Kompaktauswertung einen ersten Einblick in die Ergebnisse unserer aktuellen Studie zur gegenseitigen Wahrnehmung von Israelis und Deutschen. Auf Basis einer repräsentativen Doppelbefragung in beiden Ländern gibt sie Aufschluss über das politische Selbstverständnis in beiden Gesellschaften, die Rolle der Geschichte für die Gegenwart, die Erwartungen an die deutsche Nahostpolitik sowie die Wahrnehmung von Antisemitismus und internationaler Verantwortung. Die Ergebnisse zeichnen ein ambivalentes Bild, geprägt von Nähe und Distanz, Zustimmung und Kritik, Hoffnung und Skepsis. In dieser Auswertung legen wir einen besonderen Fokus auf die Erhebung in Deutschland und ziehen die israelischen Befunde vergleichend heran. Eine umfangreiche Darstellung aller Ergebnisse ist in Vorbereitung. Mit dieser Studie setzt die Bertelsmann Stiftung ihre langjährige Reihe empirischer Analysen zur Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen fort. Die Studie erscheint in einem Jahr, in dem sich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten zum sechzigsten Mal jährt. Ein Anlass, nicht nur auf das Erreichte zurückzublicken, sondern auch für eine kritische Selbstbefragung: Wie können wir, Deutsche und Israelis, unsere Beziehung in Zukunft verantwortungsvoll gestalten?
Abstract: Antisemitische Parolen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen; immer häufiger nehmen Tabubrüche in der deutschen Zivilgesellschaft zu, vor allem seit die »Alternative für Deutschland «Bündnisse mit Pegida und anderen fremdenfeindlichen oder rassistischen Vereinigungen eingeht. Jüngster prominenter Vorfall war der antisemitisch
motivierte Überfall auf das jüdische Restaurant Schalom in Chemnitz: »Judenschwein, verschwinde aus Deutschland«. Ob mit diesem Vorfall eine neue Qualität des Antisemitismus vorliegt, darf zwar infragegestellt werden, die Tat selbst bleibt jedoch alarmierend. Begriffliches In der Geschichte des Antisemitismus 3 lassen
sich verschiedene Phasen mit unterschiedlichen Ausprägungen und Erscheinungsweisen unterscheiden.
4 Zu unterscheiden sind primärer, sekundärer 5 und sog. tertiärer Antisemitismus. Als primärer Antisemitismus lassen sich traditionelle Formen von Judenfeindschaft (im Mittellalter zum Beispiel Vorwürfe des Hostienfrevels usw.) bezeichnen. Der sekundäre Antisemitismus instrumentalisiert die Schoah gegen Juden/Jüdinnen und gegen
den Staat Israel und ist nach Adornos Lesart so etwas wie ein »Schuld- und Erinnerungsabwehr-Antisemitismus« 6: »In letzter Konsequenz mündet dieser sekundäre Antisemitismus in die Leugnung des Holocaust.«7
Die neueren Varianten des Antisemitismus sind der Antizionismus, der das Existenzrecht Israels als Staat bzw. als Zivilgesellschaft in Frage stellt. Der tertiäre Antisemitismus wird als die neue Form des islamischen Antisemitismus charakterisiert; gleichwohl ist dieser Begriff umstritten und unscharf.8 Es scheint, als diene diese Form des
›islamischen Antisemitismus‹ dem Erhalt fragiler Identitätskonstruktionen im Bereich jugendlicher Migrant_innen, wie Rausch und Schwendemann gezeigt haben.9 Antisemitismus lässt sich als Generalbegriff für jede Form psychischer, physischer, verbaler, sozialer Judenfeindschaft sehen: »Der Antisemitismus manifestiert sich in Wort, Schrift und Bild sowie in anderen Handlungsformen, er benutzt negative Stereotype und unterstellt negative Charakterzüge…
[und] meint… die Gesamtheit judenfeindlicher Äußerungen, Tendenzen, Ressentiments, Haltungen und Handlungen unabhängig von ihren religiösen, rassistischen, sozialen oder sonstigen Motiven.«10 Nach der NS-Gewaltherrschaft muss der Antisemitismus in Deutschland als »gesellschaftliches Paradigma« verstanden werden, das dann als Medium weiterer Vorurteile und rassistischer Einstellungen dient.
Religiöser Antisemitismus aus dem christlichen Bereich wurde und wird von Unwissenheit über die jüdische Religion und Nichtverstehen genährt.
Abstract: In Deutschland hat man sich an Zustände gewöhnt, an die man sich niemals gewöhnen darf: Jüdische Schulen müssen von Bewaffneten bewacht werden, jüdischer Gottesdienst findet unter Polizeischutz statt, Bedrohungen sind alltäglich. Der Staat hat zugelassen, dass es so weit kommt - durch eine Polizei, die diese Gefahr nicht effektiv abwehrt, sondern verwaltet; durch eine Justiz, die immer wieder beschönigt. Der jüdische Autor Ronen Steinke, selbst Jurist, ist durch Deutschland gereist und erzählt von jüdischem Leben im Belagerungszustand. Er trifft Rabbinerinnen und Polizisten, konfrontiert Staatsschützer, Geheimdienstler und Minister mit dem Staatsversagen. Viel muss sich ändern in Deutschland. Was zu tun wäre, erklärt dieses Buch.
Abstract: Antisemitismus als leidenschaftliche Welt(um-)deutung findet nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 über den Kreis der „üblichen Verdächtigen“ im Rechtsextremismus hinaus Anklang. Der Band zeigt die Persistenz, Wandelbarkeit und globale Verbreitung judenfeindlicher Vorstellungen und Äußerungsformen auf und verfolgt sie von der Antike bis in die Telegram-Chats, Universitätshörsäle und Demonstrationen der Gegenwart.
Der interdisziplinär ausgerichtete Band versammelt antisemitismuskritische Studien junger Antisemitismusforscher*innen, die neue Schlaglichter auf die Akteur*innen, sich wandelnden Kommunikationsmodi und milieu- und kontextabhängigen Spezifika eines zunehmend global vernetzten antisemitischen Diskurses werfen. Über die offenen Erscheinungsformen judenfeindlicher Ressentiments hinaus verweist er auf die Virulenz latenter, halb- und unbewusst tradierter sowie bewusst codierter Vorstellungen über „die Juden“, „das Jüdische“ oder den jüdischen Staat Israel. Letzterer ist nicht erst seit, aber gegenwärtig wieder verstärkt infolge des Hamas-Pogroms vom 7. Oktober 2023 Gegenstand antisemitischer Agitationen, wobei gefühlte Wahrheiten über den Staat und den arabisch-israelischen Konflikt den öffentlichen Diskurs prägen. Die Analysen des Bandes stellen die Gemeinsamkeiten dieser Vorstellungen und Äußerungen heraus, in denen „die Juden“ oder Israel als Projektionsflächen für die Ängste und Wünsche der antisemitisch denkenden Subjekte dienen, und verweisen auf die Notwendigkeit einer kritischen und hörbaren Antisemitismusforschung nach der Zäsur des 7. Oktober.
Abstract: Dem Staat Israel kommt in Deutschland regelmäßig eine im internationalen Vergleich große Aufmerksamkeit zu. Fast immer geht es hierbei um dessen Rolle im Nahostkonflikt, also in den jahrzehntelang bestehenden politischen Auseinandersetzungen mit den palästinensischen Akteur*innen, arabischen sowie weiteren Staaten der Region (wie etwa dem Iran). Diese Aufmerksamkeit verläuft konjunkturell und folgt dem Verlauf von Eskalationsphasen des Nahostkonflikts. In den letzten Jahre wurde der (mögliche) antisemitische Gehalt "israelkritischer" Positionen zunehmend diskutiert: "Debatten um Fragen des aktuellen Antisemitismus sind immer öfter zugleich Debatten um Wahrnehmungen Israels und des Nahostkonflikts" (Niehoff 2021, 73). Beide Themen werden häufig und zunehmend miteinander assoziiert. Gleichzeitig sind Unklarheiten und Unsicherheiten weit verbreitet, welche Positionierungen gegenüber dem Staat Israel, der sich als Nationalstaat des jüdischen Volkes versteht, als antisemitisch zu bewerten sind (und, so die Konsequenz, moralisch geächtet werden sollten) und welche Haltungen demgegenüber als "kritische" 1 einzustufen sind (und als solche legitimer Teil der kontroversen politischen Auseinandersetzung seien). Zu einer entsprechenden Sensibilisierung haben insbesondere Studien und Berichte mit dem Fokus auf Perspektiven von Betroffenen von Antisemitismus (Zick u.a. 2017a; Bernstein 2020; Chernivsky u.a. 2020) sowie die professionelle zivilgesellschaftliche Arbeit etwa von Monitoringstellen antisemitischer Vorfälle (Bundesverband RIAS/Internationales Institut für Bildung, Sozial-und Antisemitismusforschung 2021) beigetragen. Auch wissenschaftliche Forschung widmet sich verstärkt der Problematik. Deutlich sichtbar wurde diese insbesondere im Mai 2021, als anlässlich von militärischen Auseinandersetzung zwischen der palästinensischen Hamas und der israelischen Armee antiisraelische Demonstrationen in Deutschland stattfanden, in deren Kontext (vermeintliche) jüdische Personen, Synagogen sowie der Staat Israel bedroht und attackiert wurden (vgl. ebd., 14, 51-65). 1 Irritationen entstehen regelmäßig u.a. deswegen, da völlig unterschiedliche Nutzungen von "kritisch" in diesem Zusammenhang existieren (vgl. z.B. Schwarz-Friesel/Reinharz 2013, 194-209). Die Bandbreite reicht von Begriffsverständnissen, die alle nicht-antisemitischen negativen Positionierungen unter "kritisch" subsummieren, andere Verständnisse grenzen den "kritischen" Bereich eng(er) ein.