Abstract: Zwei Jahre nach dem ersten Lockdown zur Eindämmung der Coronapandemie, und immer noch mittendrin, erscheint unsere neue Handreichung genau zum Thema. Wir wollten erfahren, wie es Jugendlichen in der Pandemie ergeht, die ohnehin Rassismus und Antisemitismus ausgesetzt sind. Gleich zu Beginn der Pandemie wurden asiatisch gelesene Menschen angefeindet, weil sie für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht wurden, auch italienische Restaurants wurden angegriffen, als die Nachrichten über die starke Verbreitung von Covid 19 hier ankamen. Viele Jugendliche, die sich zunächst genauso wie die deutsch gelesenen Jugendlichen nicht an Abstandsregeln hielten, wurden nicht wie diese mehr oder weniger freundlich an die neuen Regeln erinnert, sondern rigoros kontrolliert. Bald schon kursierten erste Verschwörungserzählungen darüber, dass das Virus von Juden erfunden worden sei, um den Menschen zu schaden.
In den Interviews mit Fachkräften aus der (Offenen) Jugendarbeit werden wichtige Einsichten und Erkenntnisse ausgesprochen, die die Tiefe der diskriminierenden Strukturen aufzeigen und gute Einblicke in die Lebenswelten Berliner Jugendlicher geben. Die Interviews stehen für die Vielfalt Berliner Jugendarbeit und zeigen die große Bedeutung dieses oft vernachlässigten Arbeitsfeldes auf!
Abstract: Die Antisemitismusdebatten im zweiten und dritten Quartal 2022 waren von der internationalen Kunstausstellung documenta fifteen geprägt, die 100 Tage lang in Kassel stattfand. Das bedeutet nicht, dass die Verschwörungserzählungen im Kontext der Covid-19-Pandemie und des russischen Krieges gegen die Ukraine verschwunden sind. Allerdings wird in der Debatte um die documenta fifteen deutlich, wie die deutsche Gesellschaft mit Antisemitismus und insbesondere mit israelbezogenem Antisemitismus umgeht. Bereits Anfang 2022 wurde darauf hingewiesen, dass es zu antisemitischen Vorfällen im Kontext der Kunstschau kommen kann. Der Hinweis wurde abgewehrt und ignoriert. Doch mit der Eröffnung der Ausstellung hat sich die Warnung in jeder Hinsicht bestätigt: Die documenta fifteen zeigte eine Vielzahl antisemitischer Darstellungen, was weitgehend konsequenzlos blieb. Das Fazit des Lagebildes: Die deutsche Gesellschaft hat keinen guten Umgang mit Antisemitismus.
Die Darstellungen und der Umgang mit den Darstellungen bilden einen Schwerpunkt unseres Lagebildes. Neben der documenta fifteen konnte anhand mehrerer Ereignisse, z.B. in der Debatte um das BGH-Urteils zur Wittenberger „Judensau“, beobachtet werden, wie jüdische Perspektiven und Stimmen zwar gehört, aber letzten Endes nicht berücksichtigt werden. Ein Interview mit dem israelischen Soziologen Natan Sznaider und eine Auswahl antisemitischer Vorfälle, die sich im zweiten und dritten Quartal in Deutschland ereignet haben, führen vor Augen, wie konkret und real die Bedrohungslage für Jüdinnen*Juden in der Bundesrepublik ist.
Abstract: Seit dem tödlichsten Angriff auf jüdisches Leben seit der Shoah am 7. Oktober erreicht der offene Antisemitismus auch in Deutschland eine beispiellose Qualität. Dabei nehmen die Berührungsängste zwischen islamistischen, antiimperialistischen und sich selbst als progressiv verstehenden Milieus immer weiter ab. Im Zuge dessen wird Islamismus verharmlost und israelbezogener Antisemitismus verbreitet. Es kommt zu einer folgenschweren Radikalisierung, die insbesondere eine Bedrohung für Jüdinnen und Juden ist. Im Zivilgesellschaftlichen Lagebild #13 widmen wir uns diesen antisemitischen Allianzen, die Terror verharmlosen, Kultureinrichtungen und Geschäfte mit roten Dreiecken beschmieren, dem Symbol der islamistischen Hamas, die auf diese Art Feinde und mögliche Anschlagsziele kennzeichnet. Die vergangenen Wochen weit über den 7. Oktober haben gezeigt, dass diese Allianzen zu blankem Antisemitismus führen. Das stellt seit Monaten eine bedrohliche und gefährliche Situation für Jüdinnen und Juden in Deutschland dar, die droht auf kurz oder lang in Terror gegen Juden umzuschlagen.
Unsere Kernbeobachtungen:
1. Für Jüdinnen*Juden ist die Lage seit dem 7. Oktober katastrophal, auch in der Diaspora
Die sicheren Räume werden weniger und die Bedrohungslage ist dramatisch. Israelbezogener Antisemitismus greift um sich, getragen von einer Allianz aus Islamismus und Antiimperialismus.
2. Die antiimperialistische Linke erneuert im Kampf gegen den Staat Israel ihre altbewährte Allianz mit Islamist*innen
In den Auseinandersetzungen um den Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023 fand eine erneute Fusionierung des antiimperialistischen mit dem islamistischen Antizionismus statt. Gruppierungen aus beiden Lagern stehen Seite an Seite, ihre Demosprüche fließen ineinander.
3. Rechtsextreme instrumentalisieren den Kampf gegen Antisemitismus und Israelhass, um ihren Rassismus offen überall platzieren zu können
Die Reaktionen nach dem 7. Oktober 2023 haben einmal mehr gezeigt, dass Teile der extremen Rechten ein instrumentelles Verhältnis zu Jüdinnen*Juden und zur Feindschaft ihnen gegenüber haben. AfD & Co. nutzen die Verherrlichung des Hamas-Terrors als Anlass, um Rassismus zu verbreiten.
4. Israelhass wirkt identitätsstiftend
Die Rede von und die Forderung nach bedingungsloser Solidarität mit Palästina führt immer wieder zu israelbezogenem Antisemitismus und bedeutet schließlich auch die Unterstützung palästinensischer Terrororganisationen wie Hamas und PFLP, was eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Sie bietet eine Gelegenheit, sich über Trennendes hinweg eine gemeinsame Identität zu konstruieren.
5. Soziale Medien spielen in der Allianzbildung eine entscheidende Rolle
Die Gruppierungen und Netzwerke der antiimperialistischen Linken und des Islamismus sind in den sozialen Medien sehr aktiv. Einige heizen, durch manipulatives Framing und Desinformation, die Stimmung gegen Jüdinnen*Juden und den Staat Israel an. Gerade antizionistische Influencer*innen nutzen die Dynamik, um Hetze zu verbreiten
Abstract: Der Beitrag untersucht, inwiefern sich der „Nahostkonflikt“ auf das Sicherheitsgefühl von in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden auswirkt. Ausgehend vom Theorieansatz der „politisch-kulturellen Gelegenheitsstrukturen“ untersuchen wir, ob das „Nahostkonflikt“ bezogene Sicherheitsgefühl davon abhängt, wie offen oder geschlossen diese Strukturen von den (potenziell) Betroffenen wahrgenommen werden. Unsere Befunde zeigen, dass je günstiger die Gelegenheiten für antisemitische Mobilisierung erscheinen, desto negativer wirkt sich der „Nahostkonflikt“ auf die hiesige jüdische Gemeinschaft aus, weil in der Wahrnehmung der Betroffenen antisemitische Übergriffe nicht angemessen thematisiert und juristisch verfolgt werden. Mittels Daten einer Online-Befragung von in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden (n = 295) weisen wir nach, dass vor allem die Befürchtung, die Bevölkerungsmeinung gegenüber Jüdinnen und Juden in Deutschland hinge mit dem sogenannten „Nahostkonflikt“ eng zusammen, zu einem stärkeren „Nahostkonflikt“ bezogenen Bedrohungsgefühl beiträgt. Misstrauen in die Fähigkeit von Gerichten und Medien, auf Antisemitismus angemessen zu reagieren, sind weitere statistisch signifikante Korrelate.
Abstract: Basierend auf Daten des Jahres 2018 der Fundamental Rights Agency der Europäischen Union ermittelt der vorliegende Beitrag Ausmaß und Faktoren antisemitischer Vorurteilskriminalität in Deutschland. Zum einen werden die Erfahrungen von in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden mit persönlichen Belästigungen und Beleidigungen, Vandalismus und körperlicher Gewalt innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren vor dem Erhebungszeitpunkt beleuchtet. Zum anderen beschäftigen wir uns mit der geäußerten Furcht, zukünftig Opfer antisemitischer Übergriffe zu werden. Erfahrungen mit Gewalt und Vandalismus berichten 7 % der 1225 Befragten, und 44 % wurden in den letzten fünf Jahren belästigt, weil sie jüdisch sind. Vor allem Personen, die aufgrund des Tragens von Symbolen als Juden erkennbar sind, waren betroffen und vermeiden gelegentlich oder öfter Plätze in der lokalen Umgebung, weil sie sich dort unsicher fühlen. Wenn die Befragten hingegen in einer mehrheitlich jüdischen Nachbarschaft lebten, sank die Wahrscheinlichkeit Opfer von Belästigungen und Gewalttaten zu werden. Belästigt und beleidigt wurden zudem besonders religiöse Menschen und Personen, die die Unterstützung von Israel als sehr wichtig für ihre jüdische Identität erachten. Diese Personen fühlen sich, ebenso wie jene, die dem Erinnern an den Holocaust eine hohe Bedeutung beimessen, zudem stärker bedroht – eine Bestätigung der Vermutung, dass sekundärer und israelbezogener Antisemitismus ein großes Bedrohungspotential in der aktuellen gesellschaftlichen Situation darstellen. Als Reaktion auf die empfundene Bedrohung verzichten die Befragten zwar laut der vorliegenden Befragung nicht auf das Tragen von jüdischen Symbolen, aber stärkere Bedrohungswahrnehmungen korrelieren mit dem Vermeiden von als gefährlich eingeschätzten Plätzen sowie von jüdischen Veranstaltungen.
Abstract: Scapegoating and Conspiracy Theories during COVID-19 Antisemitism has unfortunately persisted throughout history, and the COVID-19 pandemic has not been an exception to this troubling trend. The conditions created by the pandemic, such as fear, uncertainty, and anxiety, have fueled the emergence and spread of conspiracy theories targeting various groups, including Jewish communities. The COVID-19 pandemic has triggered a plethora of baseless beliefs and conspiracy theories about its causes, which have contributed to the rise of antisemitism during this time. Pandemics, including the COVID-19 pandemic, inherently create anxiety and uncertainty among populations. This change has affected many areas, both political and social. Conspiracy theories that base the cause of the emergence of COVID-19 on Jewish identity are an essential factor for this study. Tendencies toward antisemitism and scapegoating have supported these conspiracy theories. In this study, how antisemitism manifested itself in media and online discourse during COVID-19 and how Jewish identity is affected by the process.
Abstract: As a consequence of the Holocaust, Israel’s security is officially regarded as part of Germany’s
“reason of state”. Yet the criteria for a responsible relationship between Germany and Israel are by
no means self-evident or without logical or practical contradictions. One of the complications is
the Israeli-Palestinian conflict. In order to better understand this complication, I examine two
familiar national narratives, one from each side, about possible connections between the Nazi era,
the Holocaust, and this conflict. I also put the Israeli-Palestinian conflict in a broader historical
context. It turns out that the examined relationships are not as obvious as the familiar narratives
describe them. The origins of the Israeli-Palestinian conflict are older than the Nazi era and the
Holocaust, and they also point to broader European responsibilities more generally, to Europe’s
nationalism, anti-Semitism, colonialism and imperialism – with irresponsibilities towards both
Jews and Arabs. In no way does such a comprehensive perspective affect Germany’s special historical responsibilities resulting from the Holocaust. But it puts the Israeli-Palestinian conflict in a
more complete and also more honest framework, with consequences for Germany’s moral and
political position
Abstract: The Gaza War is a watershed moment not only in the Middle East. It has also increased political divisions in Germany, where Israel’s security and the fight against anti-Semitism are part of its historical legacy and political and moral identity. Incidents of anti-Semitism have increased dramatically, as have overdrawn accusations of it. An analysis of controversies about the definition of anti-Semitism, about the use of the term apartheid for the situation in the West Bank, of the BDS movement (Boycott, Divestment, Sanctions), and particularly the characterization
of Israel as a settler-colonial state shows how difficult it has become to maintain a fair, honest, and frank discussion considering different points of view. The current crisis should be used as an opportunity for Germany to, on the one hand, face the unavoidable contradictions in its responsibilities stemming from the crimes of its Nazi past and, on the other hand, come to grips not only with Arab and Iranian terrorism and eliminationist rhetoric but also with the deficiencies in Israel’s policies toward the Palestinians. Germany’s new leitmotiv ought to be: ‘Between the River
and the Sea, Jews and Arabs should be free.’
Abstract: The recent Eurozone crisis and the outbreak of political and populist Euroscepticism pose an unprecedented challenge to advocates of the post-war ‘Idea of Europe’. In the United Kingdom and France, some of the most eloquent and impassioned defences of ‘Europe’ have been penned by Jewish intellectuals. The historian Walter Laqueur, the philosopher Bernard-Henri Levy and journalists such as David Aaronovich, for example, have all rallied to the cause of ‘Europe’. This article will focus on the responses of Robert Menasse and Henryk Broder, two Jewish intellectuals from Austria and Germany, who have recently published powerful reflections on the European idea. Menasse’s polemic of 2012, Der Europäische Landbote (The European Courier), defends the idea of Europe as a ‘Friedensprojekt’, or ‘peace project’, and the European Union as an institutional antidote to the destructive power of nationalism and the self-interest of the nation-state. Broder’s bestselling book of 2013, Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (The Last Days of Europe: How we are Scuppering a Good Idea), embraces ‘European values’ but launches a critique of a European Union which stifles pluralism and critical debate. This paper analyses how Menasse and Broder define the idea of ‘Europe’ and argues that, despite their differences, in form and content, the work of Menasse and Broder draws on a common tradition of enlightened cosmopolitanism as well as informs the renewed academic debate in the humanities and social sciences about the place of ‘cosmopolitanism’ in our global world.
Abstract: As the ethical barriers surrounding ‘digital Holocaust etiquette remain contested, scholars like Daniel Magilow and Lisa Silverman question whether there can be unwritten rules of behavior at sites of historical trauma. Because of
significant shifts in the digital arena, too, legacy types of memory formation, such as collective memories associated with physical spaces, are being challenged by a new type of digital archive that is both active and passive. This article seeks to interrogate the socio-psychological aspects of selfies taken at Holocaust memorial sites and of their subsequent shaming. We wish to juxtapose current research findings with the public audience’s reaction to these photos after they have been posted on social media. In many respects, commenters may offer insight into a larger phenomenon outside of what is deemed appropriate in terms of Holocaust memory. Our article may not provide solutions or easy answers, but this is not our goal. Rather, our research aims to point to the complex, often
uncomfortable, nature of this topic due to the fact that selfies encapsulate both micro and macro histories, reality and virtual reality, and a shift in traditional types of memory formation.
Abstract: Seventy years have passed since the Holocaust, but this cataclysmic event continues to reverberate in the present. In this research, we examine attributions about the causes of the Holocaust and the influence of such attributions on intergroup relations. Three representative surveys were conducted among Germans, Poles, and Israeli Jews to examine inter- and intragroup variations in attributions for the Holocaust and how these attributions influence intergroup attitudes. Results indicated that Germans made more external than internal attributions and were especially low in attributing an evil essence to their ancestors. Israelis and Poles mainly endorsed the obedient essence attribution and were lowest on attribution to coercion. These attributions, however, were related to attitudes towards contemporary Germany primarily among Israeli Jews. The more they endorsed situationist explanations, and the less they endorsed the evil essence explanation, the more positive their attitude to Germany. Among Germans, attributions were related to a higher motivation for historical closure, except for the obedience attribution that was related to low desire for closure. Israelis exhibited a low desire for historical closure especially when attribution for evil essence was high. These findings suggest that lay perceptions of history are essential to understanding contemporary intergroup processes.