Abstract: Die Fachstelle Antisemitismus Brandenburg (fab) – in Trägerschaft der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) e. V. – blickt mittlerweile auf drei Jahre erfolgreicher Arbeit zurück und legt mit dieser Publikation ihren dritten Monitoringbericht antisemitischer Vorfälle im Land Brandenburg vor. Seit ihrer Gründung widmet sich die Fachstelle verschie denen Aufgaben- und Tätigkeitsfeldern, ins besondere der systematischen Erfassung und Auswertung antisemitischer Vorfälle. Sie bietet Betroffenen im Bedarfsfall eine erste Beratung an und verweist für weiterführende Unterstützung auf den in Potsdam ansässigen Verein Opferperspektive sowie auf communitiebasierte Beratungsstellen der jüdischen Gemeinden. Ein weiterer zentraler Schwerpunkt liegt auf der Sichtbarmachung und Stärkung jüdischen Lebens in Brandenburg – in seiner historischen wie gegenwärtigen Dimension. Besonderes Augenmerk gilt dabei den spezifischen Herausforderungen und Problemlagen, mit denen Brandenburger Juden und Jüd:innen konfrontiert sind. In diesem Kontext hat die Fachstelle in den Jahren 2022, 2023 und 2024 die landesweite Themenwoche Jüdisches Kaleidoskop Brandenburg durchgeführt. Darüber hinaus bietet die Fachstelle verschiedene Fort- und Weiterbildungen an, entwickelt eigene Angebote für Multiplikator:innen und Institutionen, ist vernetzend tätig und setzt sich für den Ausbau des interkulturellen sowie interreligiösen Dialogs ein. Der fachliche Austausch mit den Kolleg:innen im Beratungsnetzwerk der Koordinierungsstelle Tolerantes Brandenburg ist dabei fester Bestandteil der Arbeit. Als zentrale Anlaufstelle für Betroffene und Zeug:innen antisemitischer Vorfälle bietet die Fachstelle verschiedene niedrigschwellige Möglichkeiten zur Meldung: über das Online-Formular auf der Homepage www.kiga-brandenburg.org/vorfall-melden, per E-Mail, telefonisch oder im persönlichen Gespräch mit den Mitarbeiter:innen. Die Fachstelle arbeitet eng mit den entsprechenden staatlichen Einrichtungen, zivilgesellschaftlichen Trägern und der Beauftragten gegen Antisemitismus des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Land Brandenburg, Diana Sandler, sowie dem Beauftragten zur Bekämpfung des Antisemitismus im Land Brandenburg, Andreas Büttner, zusammen. So wird gewährleistet, dass möglichst viele Fälle Eingang in die Statistik finden und die Sicht der Betroffenen einbezogen wird.
Abstract: Die auf den folgenden Seiten präsentierten Daten sind verschiedenen Ursprungs. Ein Teil der gemel- deten Vorfälle entstammt dem Monitoring der Fachstelle Antisemitismus, deren Mitarbeiter:innen seit Juni 2022 antisemitische Vorfälle aufnehmen, sichern und auswerten. Diese können per Telefon, E-Mail oder in Form einer persönlichen Beratung übermittelt werden, in Kürze wird zudem ein onlinegestütztes Meldeformular über die Homepage der Fachstelle Antise- mitismus www.kiga-brandenburg.org erreichbar sein. Weitere Angaben zu antisemitischen Vorfällen wurden der Presseberichterstattung entnommen. Ein beträchtlicher Teil der Fallzahlen stammt aus den Daten zu antisemitischen Straftaten des Landes- kriminalamts Brandenburg (LKA), die sich in den Sta- tistiken zur sogenannten „politisch motivierten Kri- minalität“ (PMK-Statistik) finden lassen und der Fachstelle Antisemitismus zur Verfügung gestellt wurden. Zusätzlich gehen einzelne Fälle in den Bericht ein, die uns von zivilgesellschaftlichen Partnern übermittelt wurden – etwa den Mobilen Beratungsteams oder der Opferperspektive e. V. Mit Hilfe dieser vertrauensvollen und auf Dauer angelegten Zusammenarbeit vor Ort, sowohl mit den zuständigen Strukturen der Landespolitik, den Sicherheitsbehörden, der Brandenburger Justiz als auch der aktiven Zivilgesellschaft, sollen niedrigschwellige Meldewege für antisemitische Vorfälle sowie ein grundsätzliches Vertrauen in ebendiese Strukturen etabliert werden. Aufbereitung und Präsentation der Daten des vorlie- genden Monitoring-Berichts – Kategorien, Phänomenbereiche, Begrifflichkeiten – orientieren sich bewusst an der bundesweiten Erfassung antisemitischer Vorfälle sowie den Publikationen einzelner Bundesländer (z. B. RIAS e. V.). Diese Vorgehensweise soll ein gewisses Maß an Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit ermöglichen, um spezifische Entwicklungen auch über die Landesgrenzen hinweg erkennen zu können. Ausdrücklich zu erwähnen ist, dass die gängige Praxis der Zuweisung einzelner Vorfälle zu einem vorab definierten Kategoriensystem die Sachlage nur unzureichend wiedergibt. Diese Kategorisierung kann unter anderem dazu führen, dass komplexe antisemitische Vorfälle schnell auf einzelne Elemente oder Spezifika reduziert werden, was der Komplexität derartiger Geschehnisse häufig nicht gerecht wird. Des Weiteren kann die Rezeption der präsentierten Daten – ohne Berücksichtigung der begleitenden Kontextualisierung oder einer weiterführenden Beratung – zu voreiligen Schlüssen und Fehlinterpretationen führen. Bei der Rezeption dieses Berichts muss diese Problematik also stets mitgelesen werden. Grundlage der täglichen Arbeit sowie des vorlie- genden Monitoring-Berichts der Fachstelle Antise- mitismus Brandenburg ist die Antisemitismus- Definition der International Holocaust Remem- brance Alliance (IHRA).
Abstract: Face à la multiplication des actes antisémites depuis quelques années et leur déferlement après le 7 octobre, l'inquiétude des Français juifs grandit : ont-ils encore un avenir dans leur pays ?
7 octobre 2023. Israël est frappé par l'attaque terroriste la plus meurtrière de son histoire. Quelques semaines plus tard, la France bascule : + 1 000 % d'actes antisémites.
Pendant plus d'un an, Dov Maïmon et Didier Long ont mené une enquête inédite, sillonnant la France, questionnant ministres, policiers, juges antiterroristes, politologues, citoyens et hommes de foi de toutes confessions. Entre autres.
Ils ont aussi eu accès à des données jamais révélées à ce jour, issues de rapports confidentiels des services secrets français et israéliens.
En s'appuyant sur ces sources, les auteurs analysent les menaces qui pèsent sur les Français juifs aujourd'hui.
Dans un contexte social délétère, la montée de l'islamisme laisse présager un basculement vers un régime autoritaire ou une guerre civile.
Une question se pose alors : les Juifs de France doivent-ils partir avant qu'il ne soit trop tard ?
Abstract: Las siguientes reflexiones afrontan, en clave victimológica, el conflicto palestino-israelí, y más concretamente la actual Guerra de Gaza. El desencadenante de la operación militar israelí contra la población palestina fueron los salvajes atentados cometidos en Israel por la organización terrorista Hamás el 7 de octubre de 2023, con imágenes dantescas que dieron la vuelta al mundo. Sin embargo, en el concreto caso de España, dicho ataque y su rotunda condena fueron silenciados por las instituciones universitarias, no mostrando empatía alguna con la población israelí y judía. Todo lo contrario, sucedió con la operación militar en Gaza por parte del ejército hebreo, la cual dio lugar no solo a concentraciones de protesta en favor del pueblo palestino, sino también a todo tipo de proclamas, amenazas e insultos contra Israel. La actual situación ha conducido a que la población judía residente en Occidente se haya vuelto prácticamente invisible, habiéndose reducido al mínimo la vida judía en Europa por miedo a ataques y atentados contra un colectivo, sin tener en cuenta que un importante sector del mismo condena sin paliativos la Guerra de Gaza y sus repercusiones sobre la población palestina.
Abstract: Communicative misunderstandings, cultural misinterpretations, and tribal hatreds are not phenomena that emerge and develop only in the digital world. Within platforms, conflicts explode and circulate mainly in crisis situations, but the relationship (constructive or destructive) with the similar and the different, as well as the narration of the symbolic meanings of specific cultural events, originate first and foremost in interpersonal relationships, institutional political contexts, and the representations (and consumption) of traditional media, such as the television space. Italian television is still one of the reference means of communication for the majority of the population, a figure that has been recorded especially during the recent pandemic emergency despite the significant collapse in advertising investments. Hatred, especially anti-Semitic hatred, is increasingly present in the information ecology, linked to nationalist narratives or aimed at restoring traditional values and fuelling an already highly polarised political debate in a now “dense” public sphere. In particular, during the health crisis, television journalists found it very difficult to report in depth on cases of discrimination or COVID-19.
Abstract: L’adjectif « résiduel » a été récemment utilisé par le ministre de l’Intérieur Bruno Retailleau pour qualifier l’antisémitisme d’extrême droite, en considérant que désormais la haine des Juifs était l’affaire de l’islamisme et de l’extrême gauche. Il reprenait ainsi le qualificatif de Jean-Luc Mélenchon, qui avait écrit quelques mois auparavant que « Contrairement à ce que dit la propagande de l’officialité, l’antisémitisme reste résiduel en France. » Durant les campagnes électorales de 2024 en France, le Rassemblement national (RN) s’est présenté comme le bouclier des Français juifs. L’actualité paraît ainsi renfoncer le storytelling entretenu depuis une quinzaine d’années, selon lequel l’extrême droite ne serait plus antisémite, voire deviendrait solidaire des Français juifs. Autour de ce sujet sont souvent mis en avant des déclarations philosémites de ténors nationaux-populistes. D’autre part, les révélations publiques de prétendus « dérapages » antisémites de candidats malheureux du RN sont monnaie courante. Pour circonscrire le phénomène, il faut distinguer les modes d’expression de cet antisémitisme. Les questions des violences, de la place accordée aux marqueurs antisémites dans la communication des partis, et de l’expression culturelle sont trois dimensions qui se recoupent pour distinguer la place de l’objet au sein de ce champ politique.
Topics: Antisemitism: Definitions, Antisemitism: Christian, Antisemitism: Discourse, Antisemitism: Education against, Antisemitism: Far right, Antisemitism: Institutional, Antisemitism: Israel-Related, Antisemitism: Left-Wing, Antisemitism: Monitoring, Antisemitism: Muslim, Antisemitism: New Antisemitism, Antisemitism: Online, Philosemitism, Main Topic: Antisemitism
Abstract: Angesichts globaler und regionaler Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte steht die Gesellschaft vor erheblichen Herausforderungen wie politischer Instabilität, verschärften Konflikten, Migration, Rassismus, Diskriminierung sowie der Verbreitung von Fake News und Verschwörungserzählungen. Dabei gewinnen Extremismus, Antisemitismus, islamistische Radikalisierung und Rassismus an Bedeutung. In der Phase intensiver Persönlichkeitsentwicklung sind junge Menschen, geprägt von Unsicherheit, besonders anfällig für extremistische Überzeugungen und Handlungen. Der Drang, die eigene Identität zu formen, kombiniert mit der Suche nach einem Sinn im Leben, macht sie besonders empfänglich für Einflüsse aus ihrer sozialen Umgebung. Fehlender Zugang zu staatlichen, zivilgesellschaftlichen und familiären Unterstützungsmaßnahmen erhöht das Risiko einer Radikalisierungsspirale. Diese wird durch die Verbreitung radikaler Versprechungen über Soziale Medien und gezielte Rekrutierung in der sozialen Umgebung begünstigt. Insbesondere die Bedürfnisse und Emotionen junger Menschen werden dabei zum Ziel extremistischer Propaganda. Die Ergebnisse der Studie „IU-Kompass Extremismus“ zu antisemitischen Einstellungen bei jungen Menschen in Deutschland verdeutlichen weitverbreitete Ausprägungen dieses Phänomens. Es gilt, das Bewusstsein für menschenverachtende Ideologien zu schärfen und Jugendliche mit den nötigen Werkzeugen auszustatten, um diese Phänomene zu erkennen, zu benennen und aktiv dagegen vorzugehen.
Abstract: Aktuell wird in Deutschland vermehrt über die Verbreitung von antisemitischen Vorurteilen sowie die Entwicklung der Anzahl registrierter Straftaten und Gewaltvorfälle mit antisemitischem Hintergrund diskutiert. Die Daten des Hellfelds der polizeilich registrierten, politisch motivierten Kriminalität (PMK) verweisen insofern auf Anstiege registrierter, antisemitisch motivierter Straftaten. Opferberatungsstellen berichten gleichfalls über Zunahmen der Meldungen betroffener Opfer. Seitens des zuständigen Bundesinnenministeriums wird insoweit auch der Antisemitismus bei in Deutschland lebenden Menschen mit muslimischer Religionszugehörigkeit besonders in den Blick genommen. Differenzierte Analysen, die über das registrierte Hellfeld hinaus die Frage einer besonderen Belastung von Migrant:innen oder Muslim:innen mit Blick auf die Verbreitung entsprechender Einstellungen untersucht haben, sind bislang allerdings nur begrenzt verfügbar. Die Klärung dieser Frage erscheint sowohl für die Konzeption zielgerichtete Formen der Prävention als auch für die Gestaltung politisch-rechtlicher Interventionen zur Reduzierung von Antisemitismus in Deutschland relevant. Im folgenden Artikel wird auf Grundlage der Daten einer im Jahr 2022 durchgeführten bundesweit repräsentativen Befragung mit n=4 319 Personen untersucht, wie verbreitet unterschiedliche Formen antisemitischer Vorurteile in Deutschland sind. Der Umstand, dass diese Erhebung große Oversamples muslimischer Migrant:innen einerseits sowie nichtmuslimischer Migrant:innen anderseits enthält, wird genutzt, um auf einer breiten Datenbasis auch die Frage zu verfolgen, inwieweit migrationsspezifische Hintergründe für Antisemitismus erkennbar sind bzw. ob diesbezüglich religionsbezogene Besonderheiten mit Blick auf Menschen muslimischen Glaubens bestehen. Die Ergebnisse verweisen darauf, dass – auch nach statistischer Kontrolle der Effekte soziodemografischer Merkmalen sowie von Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen – unter in Deutschland lebenden Muslim:innen signifikant erhöhte Raten antisemitischer Einstellungen festzustellen sind. Es sind allerdings ganz erhebliche Binnendifferenzen zu beachten. Es sind vier gut unterscheidbare religiöse Orientierungsmuster bei Muslim:innen identifizierbar, für die sich im Hinblick auf das Ausmaß antisemitischer Einstellungen große Unterschiede zeigen. Implikationen dieser Befunde für die Politik sowie für die Praxis der Prävention von Antisemitismus werden erörtert.
Abstract: Mit dem vorliegenden Bericht erfüllt der Bundesrat das Postulat von Ständerat Paul Rechsteiner 19.3942 «Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA)» vom 21. Juni 2019, das einen Bericht fordert, der sich mit der Arbeitsdefinition zu Antisemitismus der IHRA auseinandersetzt und ihren Nutzen in der Sensibilisierungs-, Beratungs- und Interventions-, Forschungs- und Justizarbeit darlegt. Der Bundesrat hat das Postulat zur Annahme empfohlen und ausgeführt, dass der Bericht zusätzlich die Möglichkeit bietet, die Politik gegen Antisemitismus in der Schweiz zu analysieren und gegebenenfalls weiterführende Massnahmen zu empfehlen. Der Bericht des Bundesrates fasst die Ergebnisse zweier Studien zusammen: Eine juristische Analyse der Arbeitsdefinition der IHRA und eine Evaluation der Massnahmen gegen Antisemitismus auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene. Im ersten Teil geht der Bericht auf die Entstehungsgeschichte der Arbeitsdefinition ein und legt dar, wie die Arbeitsdefinition durch andere Staaten und internationale Organisationen angenommen und verwendet wird. Die einzelnen Elemente der Arbeitsdefinition werden analysiert, um diese zu konkretisieren, Unklarheiten zu beseitigen und Lücken zu identifizieren. Der Bundesrat folgert, dass er den Wert und die praktische Relevanz der rechtlich nicht bindenden Arbeitsdefinition der IHRA als Leitfaden für die Identifikation antisemitischer Vorfälle anerkenne. Insbesondere könne sie Ausgangspunkt für die Formulierung spezifischer, auf den jeweiligen Anwendungsbereich und Anwendungszweck ausgerichteter Definitionen sein, wobei diese mit den nötigen Vorbehalten zum Schutz der Meinungsfreiheit zu versehen seien. Eine explizite Bestätigung eines nicht bindenden internationalen Textes durch die Schweizer Behörden sei dagegen ungewöhnlich und vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Im zweiten Teil geht der Bericht auf die Massnahmen gegen Antisemitismus auf nationaler und internationaler Ebene ein und würdigt den Einsatz als breit und vielfältig. Konkret schätzt er das Ausmass des Antisemitismus, der Akzeptanz und der Bedrohungslage der Jüdinnen und Juden in der Schweiz ein, gibt einen kursorischen, aber repräsentativen Überblick über die Massnahmen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene und schliesst mit einer Reihe von Empfehlungen für einen umfassenderen und konsequenteren Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus in der Schweiz. Konkret könne mit einer besseren Koordination auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene die Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten bei der Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus geklärt, der Austausch gestärkt und eine gemeinsame strategische Planung gefördert werden. Diese Vorschläge werden auf Bundesebene von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) und der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) im Rahmen ihrer Kompetenzen umgesetzt werden. Im Rahmen ihrer Koordinationsaufgaben werden sie vermehrt dazu beitragen, dass gesamtschweizerisch Synergien genutzt und eine landesweite Strategie gegen Rassismus und Antisemitismus weiterentwickelt werden kann.
Author(s): Ambos, Kai; Barskanmaz, Cengiz; Bönnemann, Maxim; Fischer-Lescano, Andreas; Goldmann, Matthias; Anna Katharina, Mangold; Markard, Nora; Michaels, Ralf; Montag, Jerzy; Steinbeis, Maximilian; Tabbara, Tarik; Wihl, Tim; Zechlin, Lothar
Abstract: Diese Stellungnahme wurde am 5. Dezember 2023 an die Fraktionsvorsitzenden, an die Mitglieder der Ausschüsse Inneres und Recht sowie an die Ausschussbüros der anderen beteiligten Ausschüsse des Bundestags versandt. Nachdem in der Presse über diese Stellungnahme berichtet wurde, haben wir uns entschieden, sie zu veröffentlichen.
Die Nationale Strategie der Bundesregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben (NASAS) und ein Entschließungsantrag der Ampelkoalition im Bundestag sehen eine weitreichende rechtliche Implementation der sogenannten IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus als Regulierungsinstrument vor; Landtagsfraktionen planen offenbar ähnliches. Aus juristischer Sicht ist eine Implementierung der IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument aus folgenden Gründen problematisch, die unten ausgeführt werden:
Die IHRA-Arbeitsdefinition ist ausdrücklich als nicht rechtsverbindlicher Text von der IHRA verabschiedet worden und auch nicht wie ein solcher formuliert. Sie dient dem Monitoring. Sie zum faktisch bindenden Text zu machen, geht gegen ihre Rechtsnatur. Sie ist viel zu unpräzise, um Rechtssicherheit zu erzeugen oder Behördenpraxis zu etablieren. Zudem ist der Status der elf Anwendungsbeispiele, die nicht zur Definition gehören, aber oft mit hinzugezogen werden, völlig unklar.
Die Annahme der IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument würde teilweise weitreichende verfassungsrechtliche Verwerfungen erzeugen, die nicht überblickt werden können. Insbesondere ist eine darauf gestützte Behördenpraxis ganz unvorhersehbar. Erfahrungen aus Kontexten, in denen die IHRA-Arbeitsdefinition als Regulierungsinstrument diente, zeigen, dass sie für erhebliche Einschränkungen von Grundrechten genutzt wird – sehr häufig auch gegen Juden, die die Politik der jeweiligen Regierung Israels kritisieren.
Eine Annahme der IHRA-Arbeitsdefinition würde Verstöße gegen höherrangiges Recht, insbesondere das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention, nach sich ziehen oder zumindest wahrscheinlich machen. Das betrifft insbesondere das Recht der freien Meinungsäußerung und seine Anwendungen etwa im Versammlungsrecht und im politischen Strafrecht. Es betrifft auch die Kunstfreiheit, für die die IHRA-Arbeitsdefinition nicht passt, sowie die Freiheit von Forschung und Lehre.
Die IHRA-Arbeitsdefinition zur prinzipiellen Grundlage von Förderungsrichtlinien zu machen, ist rechtlich problematisch. Offensichtlich ist das für die Forschungsförderung. Denn die Definition des Antisemitismus ist selbst Gegenstand der Wissenschaft; ihr kann eine bestimmte Definition nicht vorgeschrieben werden. Aber auch bei der Kunstfreiheit fragt sich, ab wann die Kunst nicht mehr „frei“ ist (wie das Grundgesetz fordert), weil eine zu extensive Nutzung der IHRA-Arbeitsdefinition und eine Selbstzensur auch dort eingreifen, wo es die Bekämpfung von Antisemitismus nicht mehr erfordert. Schließlich kann die Meinungsfreiheit betroffen sein, wenn früher in anderem Kontext gemachte Aussagen in die Beurteilung der Förderwürdigkeit mit einbezogen werden.
Die IHRA-Definition ist für eine antidiskriminierungsrechtliche Bekämpfung von Antisemitismus nicht erforderlich; sie ist teilweise hinderlich für die wirksame Bekämpfung der Diskriminierung von Jüd:innen. Das Antidiskriminierungsrecht kennt keine vergleichbare staatliche Definition von Rassismus, Sexismus oder Homo- und Transphobie.
Im Aufenthalts- und Asylrecht würde die Implementierung der IHRA-Definition erhebliche Probleme schaffen und kann zu Konflikten mit der Genfer Flüchtlingskonvention führen, die enge Voraussetzungen stellt.
Diese kurze vorläufige Handreichung beschränkt sich auf diese juristischen Fragen; eine inhaltliche Bewertung der IHRA-Arbeitsdefinition nimmt sie nicht vor. Die notwendige ausführliche juristische Beurteilung einer Implementation scheint in Deutschland noch nicht vorgenommen worden zu sein. Anders ist das in der Schweiz, wo zwei Wissenschaftlerinnen im Auftrag der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Eidgenössischen Departements des Innern 2020 eine ausführliche Juristische Analyse der von der IHRA angenommenen Arbeitsdefinition von Antisemitismus erstellt und mehrere Problempunkte identifiziert haben.
Abstract: In the aftermath of the October 7, 2023 attacks, reports of anti-Israel expressions at German universities have raised questions about the prevalence and nature of such sentiments in academic environments. Traditional survey-based research on antisemitism and anti-Israel sentiment is often limited by response biases and social desirability bias. This study introduces a novel field-experimental approach to measuring anti-Israel sentiment in a real-world university setting. Using event history analysis, it examines the removal probability of stickers of the Israeli flag compared to German, US, Palestinian, and rainbow flags at a German university. Over a 24-week period, 600 stickers were placed on 50 public notice boards and were monitored for 14-day cycles. The results provide strong evidence of anti-Israel sentiment. The Israeli flag had the highest removal rate, with only 47.5% of the flags remaining at the end of the observation period—significantly lower than the survival rates of the other flags (which range from 68% to 80%). Cox regression analysis confirms that Israeli flags faced the highest removal hazard, being 3.3 to 3.7-times more likely to be removed than the rainbow flag and nearly twice as likely as the German flag. Politically motivated removals, though less frequent, disproportionately targeted Israeli flags as well. Removal rates were highest in hallways of the humanities, shared humanities/social sciences as well as in central facilities hallways. Hallways in the natural sciences, the human- and social sciences and economics had lower removal rates. Areas with higher student traffic exhibited fewer removals. Overall, the findings indicate a pronounced anti-Israel bias on campus, distinct from attitudes toward other nationalities or symbols.