Abstract: Im vorliegenden Studienbericht werden die zentralen Befunde aus einer in Sachsen-Anhalt in den Jahren 2021–2023 durchgeführten Studie zu Antisemitismus im institutionellen Kontext Schule vorgestellt und diskutiert. Die Studie ist Teil einer Bundesländerstudienreihe, die seit 2017 am Forschungsbereich des Kompetenzzentrums für Antisemitismuskritische Bildung und Forschung durchgeführt wird – seit 2021 in einer institutionalisierten Forschungskooperation mit der Fachhochschule Potsdam.
Im Rahmen der Studienreihe wurden neben der Studie in Sachsen-Anhalt regionale Studien in Berlin, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen umgesetzt.
In einer bundesweiten Familienstudie wurden zudem Erfahrungen mit Antisemitismus an Schulen aus den Perspektiven jüdischer Jugendlicher und jüdischer Familien untersucht. Diese Befunde fließen in die Bundesländerstudienreihe mit ein und bilden die Grundlage für die Analyse jüdischer Erfahrungen im Kontext der Institution Schule. Das Erkenntnisinteresse der Bundesländerstudien betrifft in erster Linie die Wahrnehmungen, Deutungen und Praktiken im Umgang mit Antisemitismus in der Institution Schule aus den Perspektiven von (ehemaligen) jüdischen Schüler*innen, Lehrkräften und weiteren schulischen Fachkräften. Die vertiefenden Untersuchungen in einzelnen Bundesländern als Teil der Bundesländerstudienreihe sollen zudem
die Berücksichtigung regionaler gesellschaftlicher, bildungspolitischer und historischer Spezifika im Umgang mit Antisemitismus sowie langfristig einen Vergleich zwischen den Bundesländern ermöglichen.
In diesem Bericht gehen wir zunächst auf den Hintergrund der Studie in Sachsen-Anhalt ein, skizzieren exemplarisch den Forschungsstand, ordnen den methodologischen Zugang zu Antisemitismus als Diskriminierungs- und Gewaltform im institutionellen Kontext Schule ein, erläutern das Forschungsdesign und diskutieren schließlich die Befunde und Reflexionsempfehlungen. Zu beachten ist, dass die Daten vor dem antisemitischen Massaker durch islamistische Terrorgruppen in Israel im Oktober 2023 und dem darauffolgenden Anstieg des offenen Antisemitismus in Deutschland erhoben wurden. Dieser Bericht gibt somit vertiefte Einblicke in den Umgang mit Antisemitismus im Schulalltag in Sachsen-Anhalt aus jüdischen und nichtjüdischen Perspektiven vor dem Terror des 7. Oktobers. Studienteilnehmende einer anderen Studie (vgl. Chernivsky / Lorenz-Sinai 2024 b) zu den Auswirkungen des 7. Oktobers auf jüdische und israelische Communities beschreiben die Folgen des Terrorangriffs als weitreichende »Zäsur«. Jüdische Eltern schildern ihre Sorgen, dass die Bekanntgabe der jüdischen Identität ihrer Kinder im Kontext Schule gegen sie genutzt werden könnte. Insofern sind die Befunde aus der in den Jahren 2021–2023 in Sachsen-Anhalt durchgeführten Studie nicht veraltet, sondern bilden jüdische Alltagserfahrungen und Lehrer*innenperspektiven auf Antisemitismus ab. Zugleich kann auch in Sachsen-Anhalt seit dem 7. Oktober 2023 von einer Veränderung des Sicherheitsgefühls jüdischer Familien und Lehrkräfte im Raum Schule ausgegangen werden sowie von einer Zunahme antisemitischer Übergriffe.
Abstract: Welche Erfahrungen machen Lehrer*innen mit Antisemitismus und Diskriminierung an Schulen? Welchen Umgang mit antisemitischen Phänomenen praktizieren sie? Welche Praktiken, Präventions- und Interventionsansätze sind bereits etabliert, welche könnten zusätzlich vorgeschlagen, entwickelt und implementiert werden?
Die qualitative Studie „Umgang mit Antisemitismus im Kontext Schule – Berlin“ ist eine Bedarfsanalyse, die vom Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment (ZWST) durchgeführt wird. Hierin wird nach den Sichtweisen, Strategien und Ansätzen von Lehrer*innen, Schulleitungen und Bildungsverwaltung in Bezug auf Antisemitismus und weiteren Diskriminierungsformen an unterschiedlichen Schulen gefragt. Ein wissenschaftlicher Beirat berät die Umsetzung des Forschungsprojekts. Die Umsetzung der Studie findet mit Genehmigung durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie statt.
Der Ausgangspunkt praxisorientierter Forschung im Kompetenzzentrum sind langjährige Erfahrungen im Präventions- und Interventionsbereich unterschiedlicher Bildungseinrichtungen. Sowohl die pädagogische Beratung von Schulen als auch die zahlreichen Anfragen seitens betroffener Familien begründen den Bedarf an empirischer Fundierung pädagogischen Handelns im Umgang mit antisemitischer Diskriminierung. Dabei ist es dem Kompetenzzentrum wichtig, mit Lehrer*innen ins Gespräch zu kommen und ihre Anliegen zu erfassen, um gezielt unterstützen zu können.
Auf der methodischen Grundlage der qualitativen Sozialforschung finden vertiefende Einzelinterviews, Gruppendiskussionen sowie fallbezogene Praxisgespräche mit Lehrer*innen, Schulpsycholog*innen und weiteren schulbezogenen Akteur*innen statt.
Dabei werden folgende Forschungsfragen bearbeitet:
Welches Verständnis von Antisemitismus bringen Lehrer*innen in den schulischen Alltag ein?
Welche Umgangsweisen praktizieren Lehrer*innen?
Auf welche Unterstützungssysteme greifen Lehrer*innen dabei zurück?
Welche Ansätze und Methoden können Lehrer*innen darin unterstützen, Antisemitismus und Diskriminierungen vorzubeugen und mit Vorfällen umzugehen?
Welche institutionellen Rahmenbedingungen können hierfür geschaffen werden?
Das Ziel der Studie ist eine Bedarfsanalyse in Bezug auf den Umgang mit Antisemitismus unter Berücksichtigung von Handlungsräumen und Strukturen der Institution Schule. Auf dieser Grundlage werden Empfehlungen für die Prävention und Intervention formuliert. Die Perspektive von Lehrer*innen bietet dabei zentrale Einsichten für die Erstellung einer Gesamtstrategie gegen Antisemitismus auf schulischer, struktureller und bildungspolitischer Ebene.