Abstract: Das Working Paper setzt sich mit Verschränkungen von Migrationserfahrung, Antisemitismus und antislawischem Rassismus auseinander und ergänzt damit die Publikationen des Projekts zu Russland und postsowjetischer Migration. Grundlage des Texts sind vier Interviews, die die Autorin Veronika Kiesche mit Angehörigen der zweiten Generation jüdischer Kontingentflüchtlinge durchgeführt hat.
Themen, die sich durch die Interviews ziehen, sind Fragen nach Zugehörigkeit und Identität, aber auch die Erfahrung von Fremdzuschreibung, Antisemitismus, antislawischem Rassismus und Diskriminierung.
Mit den jüdischen Zuwanderer*innen, die als sog. Kontingentflüchtlinge nach Deutschland kamen, waren bestimmte Vorstellungen, Erwartungen und Fantasien verbunden; die großzügige Einwanderungspolitik geschah nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der immer kleiner werdenden jüdischen Gemeinden in Deutschland. Die Menschen, die kamen, entsprachen allerdings nicht unbedingt diesen Vorstellungen. Wie die Autorin am Beispiel von Artikeln aus dem Spiegel zeigt, machten sich zunehmend Ressentiments breit und die Wahrnehmung der Zugewanderten verschob sich von Jüdinnen*Juden zu »Russen«. Verbunden damit waren alte, wiederkehrende antislawische Ressentiments – was nicht heißt, dass die jüdischen Immigrant*innen nicht auch Antisemitismus erlebten.
Der einführende Text von Prof. Dr. Hans-Christian Petersen zeigt die Ursprünge und Kontinuitäten des antiosteuropäischen und antislawischen Rassismus auf und macht deutlich: Postsowjetische Jüdinnen*Juden kommen in Migrationsdebatten noch zu wenig vor. Ihre Erfahrungen mit antislawischen Ressentiments bleiben eher unsichtbar, denn als weiße Migrant*innen werden sie nicht als von Rassismus Betroffene wahrgenommen.