Abstract: The article aims to tease out the relationship between, on the one hand, changing rhetorical strategies for dealing with ‘post-war-tabooed’ antisemitism in the Austrian parliament and, on the other, shifts in democratic culture – that is, the expression of democratic equality in the publicly sayable. Starting from the theoretical assumptions that parliament symbolises democracy tout court and that parliamentarism is a ‘rhetorical condition of democracy’ (Kari Palonen), we seek to explore the nexus between parliamentary rhetoric and democracy in depth. We do so, first, by identifying the successive postwar rhetorical strategies for dealing with antisemitism in their (historical) political context and, second, by delineating how those strategies mark shifting boundaries of the sayable in relation to antisemitism in Austrian postwar parliamentary rhetoric. Third, we show how those strategies and shifts signify transformations of Austrian democratic culture and democracy and that this process has a gendered dimension. Methodologically, we draw on a multidisciplinary mix of qualitative approaches, combining discourse and rhetoric analysis, specialised approaches to the analysis of parliamentary debate, and Conceptual History.
Abstract: Im Herbst 2008 warnte die Anti Defamation League wiederholt vor einem neuen Aufkeimen
des Antisemitismus im Zuge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise und belegte ihre
Sorge durch eine Vielzahl von Artikeln in US-amerikanischen, südamerikanischen und
europäischen Printmedien und Internetforen, in denen in der Auseinandersetzung mit der
Krise mehr oder weniger offene antisemitische Ressentiments artikuliert wurden. Diese
reichten von traditionellen antisemitischen Stereotypen wie dem „raffgierigen Juden“ bis hin
zu Weltverschwörungstheorien, die auch durch eine spezifische Verknüpfung von
Antisemitismus, Antiamerikanismus und Israelfeindschaft gekennzeichnet sind.
Vor diesem Hintergrund starteten wir am Institut für Konfliktforschung, in Kooperation mit
dem Institut für Zeitgeschichte, im August 2009 eine Studie zu antisemitischen
Diskurselementen in den Debatten um die Krise in österreichischen Printmedien. Wie wird
die Krise generell dargestellt und unter welchen Bedingungen und thematischen Kontexten
tauchen antisemitische Versatzstücke in der Argumentation auf? Dies ist die
forschungsleitende Kernfrage, der wir uns in dem Projekt widmeten.
Da Antisemitismus weder als einheitliches noch als statisches Phänomen verstanden wird,
sind die Kontinuitäten und Diskontinuitäten der antisemitischen Stereotypenbildung und
deren Situierung in gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und historischen Kontexten
von zentralem Belang. Denn selbst wenn sich antisemitische Stereotype in ihrem Inhalt und
ihrer Struktur innerhalb des letzten Jahrhunderts nicht grundsätzlich verändert haben mögen,
ist es für eine Analyse der Funktion und Struktur des Antisemitismus notwendig,
Veränderungen in den Bedingungen zu berücksichtigen, unter denen Antisemitismus auftritt.
Nur eine solche Vorgehensweise erlaubt substantielle Konklusionen über das Verhältnis von
Antisemitismus und Politik/Gesellschaft/Ökonomie. So sind die gesellschaftspolitischen
Veränderungen der letzen drei Jahrzehnte, die sich auch in einem neoliberalen Diskurs
niederschlagen, ebenso von Bedeutung wie etwa die Transformationen des Nationalen im
Zuge der teilweisen Transnationalisierung von Politik und Verwaltung in der EU, welche
Auswirkungen auf den nationalistischen Diskurs zeitigen, der seinerseits häufig mit
Antisemitismus einhergeht.
Das Projekt verbindet eine gesellschaftstheoretische und historische Überblicksstudie über
Antisemitismus im spezifischen Zusammenhang ökonomischer Krisen, seine Artikulationsund Manifestationsformen sowie die Motivationen, die dahinter stehen, mit einer
diskursanalytischen Untersuchung eines ausgewählten Medienkorpus zur gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise. In den verschieden gelagerten Textsorten (Berichte,
Kommentare, Reportagen, LeserInnenbriefe, etc.) werden manifeste und latente
antisemitische Diskursstränge herausgestrichen und ihre Wirkungsmacht hinsichtlich der
gesamten Diskursstrategie analysiert. Da vor allem im Internet zum Teil unverhohlen
antisemitisch argumentiert wird, wurden über den Korpus an Printmedien hinaus auch
Forumsdiskussionen in Augenschein genommen und, eine davon genauer analysiert. Im
Zentrum dieses Projekts steht jedoch der Diskurs in den österreichischen Printmedien Kurier,
Die Presse, Der Standard, Neue Kronen Zeitung, profil, Format und News.
Ausgangsüberlegung für diese Herangehensweise ist, dass der in diesen Printmedien
„veröffentlichte Diskurs” eine Datensorte darstellt, die weite Teile in allen
Bevölkerungsschichten erreicht und dominante Deutungsmuster repräsentiert.