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Hummus und Chuchichäschtli – Empirische Sozialforschung zur Auswanderung von Schweizer Jüdinnen und Juden nach Israel

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Hummus and Chuchichäschtli - Empirical Research on the emigration of Swiss Jews to Israel

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Abstract

Einleitung
Die Arbeit befasst sich mit Schweizer Jüdinnen und Juden, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Israel leben und zwischen 1964 und 2008 nach Israel ausgewandert sind. Sie beruht hauptsächlich auf von der Verfasserin in Israel geführten Leitfadeninterviews. Neben theoretischen Hintergründen über Migrationsforschung und Alija gibt die Arbeit einen Überblick über die statistische Situation der Auslandsschweizer im Allgemeinen und die Schweizer Gemeinde in Israel im Speziellen. Zudem wird das wissenschaftliche Vorgehen begründet sowie der Ablauf der Suche nach Interviewpartnern vorgestellt und die Interviewpartner charakterisiert.
Die Resultate der Forschung umfassen die Schwerpunkte Alija (mit den Unterthemen Gründe für die Auswanderung, Zeitpunkt, Landeskenntnisse, Vorgehen), Leben in Israel (Integration, Bildung, Militärdienst, Politik), religiöses Leben (Veränderungen im religiösen Leben sowie jüdische Identität) und Verbindung zur Schweiz (Auslandschweizerorganisation, Schweizer Freunde, Schweizer Politik). Diese Ergebnisse werden durch Einbezug verschiedener Publikationen wie statistischen Informationen aus Israel und der Schweiz, Zeitungsartikeln, staatlichen Publikationen aus Israel sowie wissenschaftlichen Publikationen gestützt.
Übersicht Schweizerinnen und Schweizer in Israel
Gemäss den neuesten Angaben von Anfang 2010 des Bundesamtes für Statistik wurden in Israel im Jahr 2009 14’251 Schweizerinnen und Schweizer gezählt, was im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 585 Personen bedeutet. Diese Zahl von ungefähr 500 Einwanderern jährlich aus der Schweiz nach Israel ist in den letzten Jahren relativ stabil geblieben.
Über die Religionszugehörigkeit werden keine Statistiken geführt, es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass nicht alle dieser Personen jüdisch sind und nicht alle durch eine Alija nach Israel gekommen sind: In den Statistiken des Eidgenössischen Departements für Auswärtige Angelegenheiten werden alle Personen mit Schweizer Pass registriert, die ihren Lebensmittelpunkt permanent oder vorübergehend in Israel haben, einschliesslich beispielsweise nicht-jüdische Schweizer, die mit einem Israeli (jedwelcher Religionszugehörigkeit) verheiratet sind bzw. Personen, die in den palästinensischen Autonomiegebieten leben sowie Kinder und Enkelkinder von nach Israel ausgewanderten Schweizern.
Aus diesen Gründen ist die Zahl, die in den Auslandschweizerstatistiken genannt wird, wesentlich höher als die Zahl der Schweizerinnen und Schweizer, die tatsächlich durch eine Alija nach Israel gelangt sind: Offizielle Angaben von der Jewish Agency aus dem Jahr 2009 zeigen, dass seit der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 insgesamt 5'078 Schweizer Jüdinnen und Juden Alija gemacht haben. Im Vergleich zum Anteil der Juden an der Schweizer Bevölkerung ist diese Zahl relativ hoch.

Interviews und Interviewpartner
Im Zentrum der Forschung standen Interviews mit zehn Schweizer Jüdinnen und Juden, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Israel leben. Die Interviews, die in Form von face-to-face Interviews mithilfe eines teilstrukturierten Leitfadens durchgeführt wurden, fanden zwischen April und Juni 2009 in Israel statt. Bei der Auswahl der Interviewpartner wurde darauf geachtet, ein möglichst breites Spektrum abzudecken, was den Einwanderungszeitpunkt, das Alter, das Geschlecht und die religiöse sowie politische Ausrichtung der untersuchten Personen betrifft. Bedingung war, dass die Personen aus eigenem Entschluss nach Israel ausgewandert sind, also keine, die als Kinder mit ihren Eltern nach Israel gingen, oder Nachkommen von Einwanderern, die noch immer einen Schweizer Pass besitzen. Zudem sollten die befragten Personen in der Schweiz aufgewachsen bzw. sozialisiert sein.
Von diesen 10 Personen wohnen heute fünf im Grossraum Tel Aviv, zwei in Haifa, jeweils eine Person in Beer Scheva, Beit Schemesch und Hadera. Bezüglich ihrer Herkunft aus der Schweiz kommt die Mehrheit der Befragten ursprünglich aus dem Grossraum Zürich, zwei aus Basel. Bis auf zwei Personen, die allerdings in einer festen Beziehung mit Heiratsabsichten lebten, waren zum Zeitpunkt der Interviews alle verheiratet, drei hatten (noch) keine eigene Kinder.
Alle befragten Personen sind in Besitz eines israelischen und eines Schweizer Passes und reisen regelmässig in die Schweiz. Der Zeitpunkt der Alija bewegt sich zwischen 1964 und 2008, zum Zeitpunkt der Interviews waren die Befragten also zwischen über 40 Jahren und knapp einem Jahr in Israel wohnhaft. Die meisten Befragten sind allein ausgewandert, lediglich zwei Personen sind mit ihren Partnern nach Israel gekommen, eine Person mit der ganzen Familie, wobei die Frau in diesem Fall Israelin war, es für sie also nicht eine Auswanderung sondern eine Rückwanderung war.

Zusammenfassung der Forschungsergebnisse
Die Lizentiatsarbeit kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Schweizer Gemeinde in Israel nicht einfach einordnen lässt; sie ist in vielerlei Hinsicht heterogen. Einerseits besteht eine Heterogenität bezüglich der Religionszugehörigkeit: Nicht alle nach Israel ausgewanderten Schweizer haben tatsächlich Alija gemacht, nicht alle in Israel lebenden Schweizer sind jüdisch. Aber auch in Bezug auf die religiöse Ausrichtung der ausgewanderten Schweizer Jüdinnen und Juden besteht eine grosse Diversität. So waren bei den Interviewpartnern von atheistischen über nicht praktizierenden aber religiösen bis zu streng orthodoxen Juden alle Ausrichtungen vertreten.
Die Alija ist in den meisten Fällen relativ problemlos vor sich gegangen. Unter den befragten Personen sind verschiedene mögliche Formen der Alija vertreten, von Alija aus dem Ausland und Alija aus Israel bis Alija auf Probe. Besonders spannend und aussergewöhnlich ist die Geschichte einer Interviewpartnerin, die keine persönliche Beziehung zu Israel hatte, aber trotzdem als junge Frau aus Abenteuerlust und Interesse an der sozialistischen Ideologie nach Israel gegangen ist, um in einem Kibbutz zu arbeiten, obwohl Kibbutzvolontariate damals (besonders für Nicht-Juden) noch nicht üblich waren. In der Folge hat sie ihren zukünftigen Mann kennen gelernt, und ist 1964 fast ohne Landes- und Hebräischkenntnisse zu ihm nach Israel gezogen.
Es gibt verschiedene Bereiche, in denen die Interviewpartner überraschend identische Erfahrungen und Aussagen gemacht haben: So haben alle Interviewten, die als Juden nach Israel ausgewandert sind (also ausgenommen diejenigen, die erst in Israel zum Judentum konvertiert sind), ihre Zusage zum Zionismus gemacht und bestätigt, dass dieser – oft in Kombination mit einem Wunsch nach Veränderungen im Leben und einer gewissen Abenteuerlust – ein Hauptgrund für ihre Alija gewesen ist. Keine der befragten Personen hat konkrete Absichten, wieder in die Schweiz zurückzukehren. Szenarien, die eine Rückkehr auslösen könnten, gibt es wenige; wenn schon wären es eher persönliche Szenarien als politische.
Ein weiteres Thema, bei welchem sich die interviewten Personen übereinstimmend geäussert haben, war die Frage nach den Reaktionen, die sie auf ihre Auswanderung erfahren haben. Dabei wurde einerseits festgestellt, dass das Schweizer Umfeld insofern geteilt war, als dass jüdische Freunde den Auswanderungswunsch nachvollziehen und die Bedeutung, die die Alija für eine Jüdin oder für einen Juden hat, verstehen konnten, nicht-jüdische Freunde dies in der Regel aber nicht wirklich ernst nahmen. Andererseits erklärten alle Interviewpartner, dass ihnen im israelischen Umfeld viel Unverständnis entgegengebracht wurde und sie dieses Unverständnis Jahre und Jahrzehnte nach der Alija noch erfahren. Das positive, teilweise verklärte Image der Schweiz trägt diesbezüglich dazu bei, dass die Auswanderung nach Israel als sozialer und wirtschaftlicher Abstieg interpretiert wird, und die möglichen Gründe – trotz der positiven religiösen Bedeutung der Alija – für eine Auswanderung (eben Zionismus) für Israelis nicht offensichtlich sind. Die Aussage einer Interviewpartnerin, dass sie in Israel oft gefragt wurde, ob sie denn spinne, was sie hier mache, ist als pointierte Überspitzung dieses Unverständnisses zu sehen.
Es wurde aufgezeigt, dass die befragten Personen sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben hinsichtlich der Veränderungen in ihrem Leben durch die Auswanderung nach Israel. Die Annahme, dass das religiöse Leben – aufgrund der Tatsache, dass der Alltag in Israel weitgehend durch die Religion bestimmt wird, indem jüdische Festtage offizielle Feiertage und die meisten Supermärkte und Restaurants koscher sind – für die Auswanderer einfacher wird, trifft nicht in jedem Fall zu. Zwar gibt es Personen, die heute das Praktizieren des Judentums einfacher finden und es deshalb mehr ausleben, als sie es noch in der Schweiz getan haben; es wurden aber auch gegenteilige Aussagen geäussert, die darauf beruhen, dass durch die Verknüpfung von Religion und Politik das religiöse Leben komplizierter geworden ist. Des Weiteren haben besonders jüngere Interviewpartner in der Schweiz im Rahmen ihrer Familie (also bestimmt durch ihre Eltern) ein jüdisches Familienleben gelebt. Durch den Wegfall des Familienlebens wird das Judentum in Israel denn auch weniger praktiziert, was darauf hindeutet, dass die Prägung des Judentums durch die Familie in gewisser Weise als normativ empfunden wird. Dies wird von zwei jungen Auswandererinnen beschrieben, die heute beide weniger praktizieren, als sie es in der Schweiz noch getan haben und deswegen teilweise ein schlechtes Gewissen zu haben scheinen. Zudem ist bei Auswanderern, die sich selbst als atheistisch bezeichnen, zu beobachten, dass bei ihnen das Bedürfnis nach einem minimalen Zugeständnis an das Judentum, welches ihnen in der Diaspora wichtig war, in Israel durch das Leben in einer jüdischen Mehrheitsgesellschaft weggefallen ist.
In einem anderen Punkt bezüglich des religiösen Lebens waren die Erfahrungen der Interviewpartner jedoch wiederum mehrheitlich identisch: Die soziokulturelle und religiöse jüdische Identität, die in der Schweiz vorhanden war und teilweise als bewusste Abgrenzung vom nicht-jüdischen Umfeld gelebt wurde, ist durch die Alija weggefallen und hat sich durch die (Fremd- und Selbst-) Zuschreibung «Schweizer» ersetzt. Diese in Israel übliche Kategorisierung der Olim nach dem Herkunftsland oder der Herkunftsregion wurde von den Schweizer Auswanderern übernommen, akzeptiert und wird als positiv eingeschätzt, auch wenn sich die Interviewpartner in der Schweiz kaum oder gar nicht mit der Bezeichnung «Schweizer» identifizieren konnten bzw. sich nicht als patriotisch beschrieben hätten.
In Bezug auf die politische Ausrichtung der Interviewpartner wurde aufgezeigt, dass diese zumindest teilweise mit der religiösen Ausrichtung zusammenhängt. Personen, die sich als orthodox bezeichnen, wählen eher konservative Parteien, wie zum Beispiel eine Auswandererin, die als ultra-orthodoxe Frau die aschkenasisch-ultraorthodoxe Partei «Vereinigtes Tora-Judentum» wählt oder eine weitere befragte Person, die sich als konservativ-praktizierend bezeichnet und für den konservativen Likud gestimmt hat. Im Gegensatz dazu stehen diejenigen Personen, die sich selbst als liberal oder atheistisch einschätzen und Linksparteien wählen. So wählt beispielsweise eine Interviewpartnerin, weder praktizierend noch religiös, Meretz und tendiert dazu, weiter nach links zu rutschen. Diese Polarisierung von Religion und Politik zeigt sich auch in den Parteiprogrammen: Rechte Parteien vertreten expliziter religiöse Positionen als linke Parteien.
Bei den Kapiteln zur Beziehung der Auswanderer zu ihrem Herkunftsland Schweiz hat sich gezeigt, dass mehrheitlich eine starke Verbindung dazu besteht, die sich darin äussert, dass die meisten Interviewpartner regelmässig in die Schweiz fliegen, oft mit Freunden und Verwandten in der Schweiz telefonieren und sich über Vorgänge in der Schweiz informieren. Zwar hat kaum jemand eine Schweizer Zeitung oder Zeitschrift abonniert; die Internetausgaben werden aber offensichtlich mit grossem Interesse gelesen. Aktuelle und vergangene politische Ereignisse in der Schweiz sind den Interviewpartnern deswegen mehrheitlich geläufig, und sie haben sich dazu ihre eigene Meinung gebildet (durchaus auf eine kritische Art und Weise), die sie bei Nachfragen aus ihrem israelischen Umfeld diskutieren. Dazu gehören sowohl Vorgänge wie die Debatte der 1990er Jahren über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, als auch aktuelle Nachrichten wie das Treffen von Bundespräsident Merz mit dem iranischen Präsidenten.

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Bibliographic Information

Bossert, Sabina Hummus und Chuchichäschtli – Empirische Sozialforschung zur Auswanderung von Schweizer Jüdinnen und Juden nach Israel. Departement Geschichte der Universität Basel. 2010:  https://archive.jpr.org.uk/object-swi6